Retten wir das Herz der Schweizer Natur

    Letzten September hat der Ständerat entschieden, die Biotope von nationaler Bedeutung für den Bau von Anlagen zur Stromproduktion zu öffnen. Auf dem Spiel steht nicht weniger als das Herz der Schweizer Natur!

    (Bild: zVg) Das Val Roseg gilt als eines der schönsten Seitentäler im Engadin und ist für die Natur in der Schweiz äusserst wichtig.

    «Eine wilde und romantische Bergwelt erwartet Sie. Sie treffen auf Naturschönheiten wie Gletscher, Seen, Bergbäche und Alpenblumen. Mit etwas Glück können Sie auch Wildtiere beobachten.» So steht es auf der Webseite der Tourismusregion Maderanertal im Kanton Uri. Über das Val Roseg schreiben die lokalen Gemeinden, es gelte als «eines der schönsten Seitentäler im Engadin».

    Das Maderanertal und das Val Roseg haben eines gemeinsam: Es sind Biotope von nationaler Bedeutung. Bisher durften in diesen Gebieten keine Anlagen zur Stromproduktion gebaut werden. Denn sie sind für die sowieso schon arg gebeutelte Natur in der Schweiz äusserst wichtig.

    Heimat für ein Drittel aller bedrohten Arten
    «Diese Biotope sind das Heiligste vom Heiligen, was die Biodiversität betrifft», sagte Pflanzenökologe Markus Fischer von der Universität Bern gegenüber der «NZZ». Sie sind die letzten Überreste einst ausgedehnter Lebensräume. Diese Moore, Auen, Amphibienlaichgebiete und Trockenwiesen machen nur gerade 2 Prozent der Schweizer Landesfläche aus. Sie sind jedoch Heimat für einen Drittel aller bedrohten Tier- und Pflanzenarten. Die Biotope tragen enorm viel zur gesamten Vielfalt der Landschaften, Lebensräume und Arten der Schweiz bei. Sie sind in ihrer Artenzusammensetzung einzigartig. Ihr Verlust wäre unersetzlich.

    Nehmen wir die Auenwälder: Sie bieten Lebensraum für acht von zehn in der Schweiz vorkommenden Tier- und Pflanzenarten. Auen sind nicht nur wichtige Lebensräume für Fische, Insekten und Amphibien, sondern auch wahre Vogelparadiese. So ist etwa der vom Aussterben bedrohte Flussuferläufer auf die natürliche Dynamik von unverbauten Fliessgewässern angewiesen. Er braucht sandige und kiesige Auflandungen zum Brüten, die mit lockerer, niedriger Bodenvegetation und niedrigen Sträuchern durchsetzt sind. Als Zugvogel ist er nur im Sommerhalbjahr bei uns zu beobachten. Die letzten 100 Brutpaare der Schweiz brüten in naturnahen Flussauen der Alpen und Voralpen. Ein anderes Beispiel einer bedrohten Art ist die einfache Mondraute: Diese Pflanze kommt praktisch nur noch in der Val Roseg vor.

    (Bild: pixabay) Der vom Aussterben bedrohte Flussuferläufer ist auf die natürliche Dynamik von unverbauten Fliessgewässern angewiesen.

    90 Prozent der Auen sind verschwunden
    Seit 1850 sind 90 Prozent der Auen in der Schweiz verschwunden. Die letzten übriggebliebenen Flächen müssten qualitativ aufgewertet und besser miteinander vernetzt werden, um die restliche Artenvielfalt zu erhalten. Doch statt diese Aufgabe entschlossen anzugehen, wird nun unter dem Deckmantel der Versorgungssicherheit gar der Schutz dieser Lebensräume infrage gestellt.

    Doch warum das Goldvreneli hergeben, wenn wir noch genügend Münz im Sack haben? Alleine das Solar-Potenzial auf unseren Dächern, Fassaden, Autobahnen und Infrastrukturen übertrifft den aktuellen Schweizer Stromverbrauch. Es ist noch nicht annähernd ausgeschöpft. Und ein Drittel des Stromverbrauchs in der Schweiz lässt sich einsparen – ganz ohne Komforteinbussen. Wo bleiben die wirksamen Massnahmen, um die Stromverschwendung zu bekämpfen? Schliesslich lässt sich auch die Speicherwasserkraft im Winter gezielt ausbauen.

    Nationalrat muss Entscheid korrigieren
    Am Runden Tisch Wasserkraft haben die Kantone, Stromproduzenten und Umweltverbände gemeinsam empfohlen, 15 Wasserkraftprojekte vertieft zu prüfen, ohne dass der Naturschutz aufgeweicht werden muss. Das ist die vernünftige, breit abgestützte Lösung. Wollen wir den kommenden Generationen jedoch ein Minimum an Natur überlassen, muss der Schutz der Biotope von nationaler Bedeutung unbedingt bestehen bleiben. Denn diese helfen uns auch im Kampf gegen den Klimawandel: Sie schützen uns vor Dürre und Überflutung, speichern CO2 und reinigen sogar unser Wasser. Diese Gebiete ohne Not zu verbauen, wäre unvernünftig und kontraproduktiv. Der Nationalrat muss in der Frühlingssession den vorschnellen Entscheid seiner Schwesterkammer unbedingt korrigieren!

    Jonas Schmid,
    Communication Advisor WWF Schweiz

    Für mehr Informationen:
    www.biotopschutz.ch

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