Ohne Smartifizierung wird jede Stadt zum Problemfall

    Die Digitalisierung unserer Arbeitswelten und die Smartifizierung der Lebensräume nimmt Fahrt auf. E-Government ist hierbei nur ein Teil eines Smart City Konzeptes.

    (Bild: Shuttestock) Smart City ist nicht einfach nur eine Digitalisierung von Dienstleistungen – vielmehr geht es um intelligente Vernetzungen von ganzheitlichen Konzepten.
    (Bild: zVg) Mike Vogt, ein Schweizer Pionier in «Smartifizierungsthemen»

    Die Schweizer Städte setzen sich in vielen Bereichen für die Nachhaltigkeit ein: Beispielsweise mit Energie- und Klimastrategien für ökologische Nachhaltigkeit. Die Stadt Bern zum Beispiel hat als «Fair Trade Town» vor einigen Jahren ihr Bekenntnis zu sozialer Nachhaltigkeit und mit mehrfachen Aktivitäten im Bereich Open Source Software auch einen engen Bezug zu digitaler Nachhaltigkeit erbracht. Es sollen, so fordern diverse Fachleute und auch Parteien, in den Produktionsketten faire Arbeitsbedingungen herrschen, ökologische Standards eingehalten und Geräte mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Das ist ein Bestandteil einer «Smartifizierung» einer Stadt.

    Auch im Bereich der Digitalisierung soll es mit kantonalen Digitalstrategien vorwärtsgehen, damit in allen Städten und Ortschaften bald von einer Smart City die Rede ist. Dafür werden bestehende ICT-Strategien weiterentwickelt und in Schlüssel- fragen aktualisiert. Ebenso gehören dazu die Erarbeitung neuer strategischer Stossrichtungen wie die Digitalisierung des Leistungsangebots einer Gemeinde oder Stadt gegenüber Bevölkerung und Partnerinnen und Partnern oder die Bereitstellung von Daten als «open data».

    Die bisherigen Konzepte zu E-Government und der weitere Ausbau des digitalen Leistungsangebots sind ausserdem jeweils Bestandteil der Digitalstrategien.

    Die Pläne beinhalten zudem auch, digitales Wissen allen Menschen zugänglich zu machen und die Etablierung von E-Government. Darunter versteht man den Einsatz von digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien, damit die Bevölkerung und die Wirtschaft wichtige Geschäfte mit den Behörden elektronisch und einfach abwickeln können. E-Government ist dadurch ein wichtiger Beitrag zur Modernisierung der Verwaltung und zur Effizienzsteigerung ihrer Geschäftsprozesse. Geschäfte können rund um die Uhr und ohne Behördengang abgewickelt werden.

    Neue Smart-City-Jobs entstehen
    In der Tat tut sich also einiges in der Schweiz. Und man hat in St.Gallen, Winterthur und anderen Städten und Gemeinden bereits spezielle Smart City-Fachstellen installiert mit SmartCity-Manager/innen. Für die Umsetzung braucht es geeignete Leute, und diese müssen auch gefunden und rekrutiert werden. Das stellt eine der grossen Herausforderungen für HR und Personalentwicklung dar, weil hier noch ein grosser Info- und Nachholbedarf besteht. So wird in naher Zukunft auch im Jobmarkt die Smartifizierung Einzug erhalten. «Jede Stadt wird früher oder später einen Chief Digital Officer haben beziehungsweise haben müssen», bestätigt Mike Vogt. Er ist der Initiant und Managing-Direktor der jährlichen Fachmesse Smart-Suisse in Basel und ein profunder Kenner und Fachmann im Bereich Smart City und digitale Transformation. Die Daten sind aus seiner Sicht das Gold der Zukunft, auch in einer Stadt. Bei der Smartifizierung geht es am Schluss einzig und allein um Daten und wie diese in eine höhere Lebensqualität umgemünzt werden können. «Je früher die Städte sich mit dieser komplexen Thematik befassen und Know- how aufbauen, desto besser. Wer sich diesem Trend verschliesst, wird einen hohen Preis dafür zahlen müssen», fügt Vogt hinzu.

    Silos aufzubrechen und Projekte branchen- und ämterübergreifend angehen
    Die SmartSuisse war 2019, 2018 und 2017 komplett ausgebucht mit dem Besuch von über 400 Entscheidern aus über 90 Städten. Dies zeige, so Mike Vogt, dass ein echtes Bedürfnis im Markt angesprochen wird. In praktisch jedem Referat wurde auf die Wichtigkeit hingewiesen, die Silos aufzubrechen und strategische Projekte branchen- und ämterübergreifend anzugehen. Mike Vogt: «Die Städte St. Gallen und Winterthur waren bezüglich der sogenannten Smartifizierung Pioniere. So hat St. Gallen bereits früh an der SmartSuisse sein Smartnet vorgestellt, ein LoRa Funknetzwerk, das bereits stadtübergreifend im Einsatz ist und nur darauf wartet, mit Dienstleistungen und Applikationen von Drittfirmen genutzt zu werden. Auch die Stadt Genf glänzt mit Smart-City-Projekten vom OPI , dem Office de Promotion des Industries et des Technologies, wo ein Smart-City-Manager alle Aktivitäten koordiniert.» Es müssten jedoch in den Städten beziehungsweise in urbanen Regionen alle am gleichen Strick ziehen. In vielen Städten wird eine Stadtentwicklung, eine Standortförderung und eine Tourismus-Organisation betrieben. Es mache aber, so Vogt, keinen Sinn und ist für die Vermarktung einer Stadt alles andere als effizient. Eine einheitliche Organisation könne das Image und die Bekanntheit einer Stadt viel besser fördern.

    Eine wesentliche Konklusion ist folglich, dass es einen «Digital Layer» als Drehscheibe braucht, um die enorm vielen Daten einer Smart City professionell bewirtschaften zu können. Mike Vogt: «Smartes Strassenlicht und Smart Parking sind ideale Start-Projekte. Ein Beispiel: Wir haben heute in der Schweiz zehn Prozent LED-Anteil am Strassenlicht. Es ist eine grosse Chance für die Stadtwerke, bei der weiteren Förderung und Durchsetzung von LED zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen; nämlich neben der Umrüstung auf LED eine gleichzeitige ‹Versmartung› des Strassenlichts vorzunehmen und ebenso einen Digital Layer einzuführen. Dieser Digital Layer kann danach für viele weitere Applikationen genutzt werden wie für die Messung und Übermittlung von Lärmschutzdaten.» Auch Smart Parking bietet den Städten die Möglichkeit, die öffentlichen Parkflächen viel effizienter zu bewirtschaften. Es gibt ja schon konkrete Lösungen, wie dies in die Realität umgesetzt werden kann.

    Verhältnis Stadtverwaltung/ Bürger ändern
    Das Verhältnis Stadtverwaltung/ Bürger war bisher eher eine Einbahnstrasse. Ausser sich an Abstimmungen zu beteiligen, mussten sich die Bürger nicht um viel kümmern. Aber in dieser Einbahnstrasse gehe viel ungenutztes Potenzial verloren, betont Vogt. «Nehmen wir eine Stadt mit 10’000 Einwohnern als Beispiel. Das scheint auf den ersten Blick nicht viel zu sein. Aber wenn wir die Sichtweise ändern und uns diese Stadt als Firma mit 10’000 Mitarbeitern vorstellen, dann ergibt sich ein gigantisches Potenzial an Wissen und Erfahrungen!» Darum sind die Einbindung und das Engagement der Bürger in Zukunft so wichtig. Mike Vogt empfiehlt, sich mit seiner Stadt intensiv auseinanderzusetzen und seine Wünsche und Nöte der Stadtverwaltung mitzuteilen. Bei den regionalen Energieversorgern könne man Energieberatungsgespräche beantragen und beispielsweise einen Vergleich verlangen, wie die Wohnung oder das Haus energetisch abschneidet und welche Massnahmen man ergreifen kann, um Energie und Geld zu sparen. Die Smart City beginnt zu Hause und entwickelt sich über die Quartiere im gesamten Stadtgebiet.

    (Bild: Shutterstock) Smartifizierung mit smarten Lösungen bezüglich Handling und Vernetzung mit den Bürgerinnen und Bürgern.

    Die Kritik an der Smart City
    Nicht alles ist von Vorteil, wenn so viele Daten zur Optimierung des Energiehaushaltes einer Stadt gesammelt werden. Auch das Thema der Datenhoheit ist ein schwieriges. So werden zum Beispiel in der Vorzeige-Smart-City im südkoreanischen Songdo von jeder einzelnen Person alle verfügbaren Daten zur Energiehaushalt-Optimierung gesammelt, was natürlich auch den Einblick in die Privatsphäre und ein sogenanntes «Tracking» beinhaltet. In dieser Smart City wird man auf Schritt und Tritt analysiert und die Gewohnheiten werden ausgewertet. Ausserdem: In einer Stadt, die «mitdenkt», gibt es zwar viele Grünflächen, aber der autozentrierte Städtebau und die extreme Smartifizierung würden dazu führen, dass dennoch fast kein Leben auf den Strassen stattfinden würde.

    Joël Ch. Wuethrich


    Vorbild Wien
    Wien ist mit seinem Konzept einer digitalisierten Stadt welt- weit führend. Das ergibt die neue Studie des Beratungsunternehmens Roland Berger, das weltweit Städte mit einer klaren Smart-City-Strategie unter die Lupe genommen hat. 153 sind es insgesamt, eine deutliche Steigerung innerhalb von zwei Jahren von einst 87. Allerdings bemängeln die Experten, dass 90 Prozent all dieser Städte noch immer keine ganzheitlichen Smart-City-Konzepte zeigen. Die Strategie sei nur der erste Schritt, entscheidend sei die Umsetzung. An zweiter Stelle im Ranking folgt London, das Strassenlaternen und Bänke mit öffentlichem WLAN versieht, und Luftqualitätssensoren und Ladestationen für Elektrofahrzeuge installiert. Den dritten Platz belegt St. Albert (Kanada) vor Singapur im Smart-City-Ranking. Singapur hat mit dem sogenannten «SingPass» ein digitales Identifikationssystem und installiert momentan intelligente Beleuchtungssysteme, autonome Shuttles und Telemedizin. Keine der Schweizer Städte ist in den vorderen Rängen klassiert.

    Quelle: www.rolandberger.com

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