Glasgow und die Schweiz: Taten statt Worte

    Wichtiger als die Teilnahme an gigantischen Klimakonferenzen wie derjenigen von Glasgow ist, dass die Schweiz ihre umwelt- und energiepolitischen Hausaufgaben löst. Der Bau neuer Kernkraftwerke ist für mich keine Option. Wasserkraft und Sonnenenergie müssen ausgebaut werden.

    (Bild: pixabay) Nationalrat Gerhard Pfister: «Die Schweiz tut gut daran, eine eigene Energiepolitik weiter zu entwickeln, mit dem Volk, nicht gegen das Volk.»

    Die Klimakonferenz in Glasgow war für die Menschen eine Enttäuschung, die jeweils unrealistisch hohe Erwartungen an solche Eventgigantismen haben. Die unzähligen Flüge, die nötig waren, um die Kongresstouristen aus allen Ecken der Welt nach Glasgow zu bringen, lassen jede dort beschlossene Resolution, jede schöne Rede in einem andern Licht erscheinen. Gerade die Pandemie lehrte uns, dass nicht jede Konferenz zwingend nötig die physische Anwesenheit von allen Teilnehmenden braucht. Wenn schon Klimakonferenzen und deren Organisatoren nicht fähig sind, besser zu unterscheiden, wer physisch und wer besser digital teilnehmen soll, muss sich nicht wundern, warum der Rest der Menschen, über die an solchen Meetings verfügt und beschlossen wird, sich solche Fragen auch nicht stellen wollen.

    Genauso wie die Verwendung fossiler Energieträger langfristig und global abgelöst werden wird, genauso müsste man auch die Art und Weise, wie Staatenvertreter sich austauschen und gemeinsame Treffen durchführen, erneuern. Die Politiker, die am lautesten fordern, sollten auch vorangehen. Wenn Schweizer SP-Politiker mit dem Flugzeug einen Kurztrip nach Berlin unternehmen, um einem Genossen zum Wahlsieg zu gratulieren, kann deren Bundesrätin Sommaruga ihre eigenen Leute wohl nicht gerade als role models verkaufen.

    Krokodilstränen der Europäer
    Gerade und vor allem europäische Staatschefs, die ihrer Bevölkerung die Flugreisen verteuern wollen, hätten eigentlich gemäss ihren eigenen Standards manche mit dem Zug reisen müssen. Zugegeben, Glasgow liegt eisenbahntechnisch nicht gerade um die Ecke.

    Was wurde beschlossen? Der Ausstieg aus der Kohle im Grundsatz, am Ende schwächten China und Indien aber noch den Beschluss ab. Es geht nicht mehr um ein phase out, sondern nur noch um ein phase down. Die Tränen der Europäer darüber sind Krokodilstränen, insbesondere deutsche. Deutschland stieg überhastet aus der Kernenergie aus, und kompensierte mit Kohle. Wichtiger als dieser Ent- scheid ist aber, dass China sich mit den USA separat auf eine Kooperation in der Klimapolitik einigte. Diese beiden Staaten sind bei den grössten Emittenten von CO2 zuvorderst dabei, und deshalb sind solche Abkommen effektiver als Klimakonferenzen des Typs Glasgow.

    Es geht nur mit der Wirtschaft
    Und die Schweiz? Nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes, verursacht durch ein falsches Agendasetting von Bundesrätin Sommaruga, kündete dieselbe an, bei künftigen Vorlagen auf die kritisierten Punkte zu verzichten. Die neue Vorlage soll ohne neue Abgaben ausgestaltet werden. Die Mittel aus klimapolitischen Instrumenten sollen dort wieder eingesetzt werden, wo sie geleistet werden müssen. Grundsätzlich sollen mehr Anreize statt Verbote dazu beitragen, die Klimaziele zu erreichen. Das ist zu begrüssen. Es gibt nur eine Veränderung mit der Wirtschaft, nicht gegen die Wirtschaft. Die ist im Übrigen in weiten Teilen selbstverantwortlich daran, ihren wichtigen Beitrag zu leisten. Ich bin Präsident des Verbands der Zementproduzenten. Diese Branche bekennt sich klar zu den Klimaziele, und ist in ihren Anstrengungen zur CO2 Reduktion weiter als die Schweiz insgesamt.

    Die Schweiz tut gut daran, eine eigene Klimapolitik weiter zu entwickeln, mit dem Volk, nicht gegen das Volk. Gleichzeitig hat der Bundesrat es vernachlässigt, die möglichst autonome Versorgungssicherheit beim Strom auch zukünftig auf solide Grundlagen zu stellen. Die Produktion von erneuerbarer Energie, zur Kompensation der wegfallenden Kernenergie und zur Ermöglichung des steigenden Elektrizitätsbedarfs, kommt nicht so vorwärts wie der Bundesrat das in Aussicht stellte, als das Volk dem Ausstieg aus der Kernenergie zustimmte.

    Versorgungssicherheit – niemand ist zuständig
    Interessanterweise ist in der Schweiz niemand institutionell wirklich verantwortlich für die Versorgungssicherheit. Der Bundesrat verweist auf die Stromproduzenten, diese auf den Bundesrat, andere auf die Elcom oder Swissgrid. Und diese sind ebenfalls nicht zuständig. Die Verwundbarkeit der Schweiz durch die Pandemie hat das Bewusstsein geschärft, dass ein noch grösseres Risiko bei der Versorgungssicherheit, der Netzstabilität und der Abhängigkeit vom Ausland bei der Elektrizität besteht. Persönlich halte ich die Planspiele zum Bau eines neuen Kernenergiekraftwerks für aussichtslos. Christoph Blocher war der Hauptverantwortliche, dass Kaiseraugst nicht gebaut wurde. Seine Tochter wird es nicht mehr rückgängig machen. Niemand hat ein wirtschaftliches Interesse daran. Niemand will die Risiken eingehen, die in einem wohl 20jährigen Planungs- und Bauverfahren mit direktdemokratischen Hürden einhergehen. Wir werden, um uns gegen die voraussehbaren Versorgungsengpässe abzusichern, nicht darum herumkommen, Gaskombikraftwerke bauen zu müssen.

    Einsprachemöglichkeiten reduzieren
    Eigentlich paradox: alle Welt will aus dem CO2 aussteigen. Die Schweizer Stromproduktion war bisher 100% CO2 frei. Wir steigen dagegen ein in eine CO2-emittierende Stromproduktion, weil wir nur so einigermassen sicher sein können. Aber auch diese an sich schlechte Variante genügt nicht. Es braucht einen massiven Ausbau der Wasserkraft und der Solarenergie. Die Einsprachemöglichkeiten gegen solche Projekte, vornehmlich seitens der Linken und der selbsternannten Landschafts- und Umweltschützer genutzt, müssen reduziert werden. Hier wäre Bundesrätin Sommaruga gefordert, ihrer eigenen Klientel auch die Konsequenzen von Entscheiden und Forderungen zuzumuten, die sie selbst erhoben hat.

    Allzulange war auch bei der Stromproduktion und der Versorgungssicherheit die pauschale Antwort auf alle Herausforderungen der Abschluss eines Rahmenabkommens. Diese Option ist vom Tisch. Der Bundesrat muss diese Herausforderungen anders angehen. Die Schweiz hat ein Interesse daran, weiterhin in das europäische Stromnetz integriert zu bleiben. Die EU hat ein ebensolches Interesse. Auf einer technischen Ebene ist man sich einig darüber. Auf der politischen Ebene, insbesondere in Brüssel, ist man von dieser Einsicht noch weit entfernt. Auch hier darf die Schweiz klarer und deutlicher darauf hinweisen, wie wichtig sie auch und gerade für die EU selbst ist, mindestens wenn es um die Netzstabilität geht.

    Das alles sind genügend Herausforderungen, die nicht an kaum CO-neutralen Grossanlässen wie der Konferenz in Glasgow bewältigt werden. Taten statt Worte, insbesondere für die Schweiz. Diese müssen vor allem hierzulande erfolgen.

    Im nächsten Jahr sollen an einer weiteren grossen internationalen Klimakonferenz neue Ziele vereinbart werden, oder bloss verkündet. Als Tagungsort wählte man eine wettermässig wohl sicher erfreulichere Variante für die Kongressteilnehmer: die sonnige und warme ägyptische Feriendestination Scharm El-Scheich. Nur fahren dorthin noch weniger Züge als nach Glasgow.

    Gerhard Pfister,
    Nationalrat, Präsident Die Mitte Schweiz

    Vorheriger Artikel«Miteinander verschiedenster Technologien»
    Nächster ArtikelWider Technologieverbote – die Energiepolitik der Schweiz bedarf einer grundlegenden Korrektur