Als erste Schweizer Metropole erliess der Stadtkanton teilweise Fahrverbote für Autos. Die absoluten Parias sind die harmlosen Oldtimer. Bisher haben die aufwändigen Massnahmen nichts gebracht – ausser viel Bürokratie und Kosten zulasten der Steuerzahler.
Genf wird zur verbotenen Stadt – das gilt zumindest für Teile des motorisierten Individualverkehrs und für bestimmte Fahrzeuge. Sie dürfen unter Umständen nicht mehr in die Kantonshauptstadt und in Zentren weiterer Gemeinden des Stadtkantons fahren. Politik und Verwaltung nennen das neue System «differenzierten Verkehr». Es orientiert sich an den aus Städten im EU-Raum bekannten Umweltzonen und -plaketten. Die Massnahme richtet sich gegen Luftverschmutzung und «Smog», als ob das überschaubare Genf eine Megacity in der dritten Welt unter einer erstickenden Käseglocke wäre. Das zeitweilige Verbot schützt laut dem Kanton «die öffentliche Gesundheit und die schwächsten Personen: ältere Menschen, Kinder, Personen mit Atemwegs- oder Herz-Kreislauf-Problemen».
Die zusätzliche Vignette, die sich explizit an französischem Vorbild orientiert, nennt sich «Stick’AIR». Jedes Auto, das nach Genf fährt, muss damit ausgerüstet sein. Dabei werden die Fahrzeuge in sechs Kategorien mit unterschiedlichen Farben und Nummern eingeteilt, vom geringsten bis zum höchsten Schadstoffausstoss gemäss der Euro-Norm.
Die Einteilung ist kompliziert. In die Kategorie «Musterknaben» mit grüner Etikette fallen elektrisch und hydrogen angetriebene Fahrzeuge. Einen violetten Kleber mit der Ziffer 1 erhalten Zwei-, Drei- und Vierräder mit der Euro-Norm 4, Benzin-Autos mit Euro 5 und 6, ebenso leichte Nutzfahrzeuge mit Euro 5 und 6 sowie der Schwerverkehr und Autobusse mit der für sie vorgesehenen römischen Ziffer VI. Schlechter qualifiziert – und entsprechend farblich gekennzeichnet – sind alle älteren und Dieselfahrzeuge.
Autofeindliches Exempel statuiert
Ein weiteres Beispiel: Diesel-PWs mit Euro-Norm 5 und 6 müssen mit der gelben Plakette mit der Nummer 2 gekennzeichnet werden, während bei den Benzinern die Euro-4-Fahrzeuge in dieselbe Kategorie fallen. Am Ende der Skala (grauer Kleber, Nummer 5) befinden sich Tourismus- und leichte Nutzfahrzeuge mit Euro 2 sowie Lastwagen mit Euro III. Ausserhalb jeder Kategorie und somit die Parias im Genfer Kastensystem für den motorisierten Individualverkehr sind Motorräder, die vor dem 1. Mai 2000 in Verkehr gesetzt worden sind, sowie PWs und leichte Nutzfahrzeuge mit Euro 1 und älter. Dasselbe gilt für den Schwerverkehr ab Euro II.
Während allerdings Lastwagen mangels schlichter Existenz solch alter Fahrzeuge kaum betroffen sein dürften, trifft es bei den Personenkraftwagen die Oldtimer gnadenlos. Ob die wenigen Liebhaberfahrzeuge, die ab und zu bei schönem Wetter für ein paar Stunden ausgefahren werden, wirklich für erhöhte Schadstoffbelastung und «Smog»-Alarm verantwortlich sind, ist eine rhetorische Frage. Den Genfer Behörden ist’s egal. Hauptsache, sie statuieren ein autofeindliches Exempel – auch wenn es sinnlos ist und darüber hinaus erst noch die Bestandsgarantie und damit das Eigentumsrecht ritzt.
Ausser Spesen nichts gewesen
Wie sehr sich die Debatte über Sinn und Unsinn solcher Eingriffe in die freie Mobilität längst bar jedes Realitäts- und Faktenbezugs ins (Klima-)Wahnhaft-Ideologische verlagert hat, zeigt ausgerechnet das gebührenfinanzierte Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), das eigentlich zu ausgewogener Berichterstattung verpflichtet wäre. Genf erlasse «Fahrverbote für Abgasschleudern» und für «Dreckschleudern», so das SRF in Gleichschritt und Gleichklang mit links-grüner Polemik.
Verstösse gegen das Fahrverbot werden gebüsst. Zuerst waren drakonische Strafen von 500 Franken vorgesehen. Nun wurden sie auf 100 Franken reduziert – dank einer Beschwerde des Touring Clubs Genf und der Genfer Sektion des Nutzfahrzeugverbands Astag. Die Beschwerdeführer argumentierten, nur der Bund könne solch einschneidende Einschränkungen ergreifen. Dieses Argument wies das Genfer Verfassungsgericht zwar ab: Der Kanton überschreite seine Befugnisse nicht, wenn er gegen eine kurzfristige Verschmutzung vorgehe. Das Gericht akzeptierte aber den Einwand, die Grenzwerte für Stickstoff und Feinstaub seien in Genf strenger als im Rest der Schweiz. Das Verfassungsgericht forderte den Kanton in der Folge auf, die einschlägigen Grenzwerte zu erhöhen.
Auf Anfrage teilt der Kanton Genf merklich angesäuert mit, dass so eine «Diskrepanz» zwischen Genf und den «strengeren Grenzwerten» geschaffen würde, die «im benachbarten Frankreich gelten». Es sei «nun möglich, dass im Falle eines Feinstaub-Wintersmogs in Frankreich eine Spitzenbelastung angekündigt wird und Massnahmen wie der differenzierte Verkehr aktiviert werden, was in Genf nicht der Fall ist». Offenbar orientiert sich die Genfer Politik also lieber an Paris als an Bern. Überhaupt entpuppt sich das Ganze als aufwändige bürokratische Übung praktisch ohne Nutzen: Nur die Stufe 1 sei seit Einführung des Systems vor vier Jahren ein einziges Mal während fünf Tagen wegen einer «erwarteten Überschreitung» des PM-10-Wertes (Feinstaub) aktiviert worden, teilen die Republik und der Kanton Genf mit. Ausser Spesen nichts gewesen.
Dr. Philipp Gut